Radtour auf dem „Grünen Band“ von Travemünde bis Eschwege/Kassel

Eine Radtour auf dem ehemaligen Grenzstreifen zwischen den beiden Teilen Deutschlands -  das ist aus verschiedenen Gründen eine reizvolle Idee. Einerseits wegen der vielen verschiedenen Landschaftsformen zwischen der Ostseeküste und dem über 1300km Streckenlänge entfernten fränkischen Städtchen Hof, andererseits aber sicher auch wegen der unmittelbaren Erlebbarkeit der weniger ruhmreichen Aspekte der deutschen und europäischen Geschichte der vergangenen Jahrzehnte. Schließlich für einen jungen Mitfahrer wie Christopher Schmidt überhaupt der vielleicht erste und einzige halbwegs authentische Einblick in ein geschichtliches Kapitel, das langsam  - und bei der Jugend rasant - in Vergessenheit gerät. Allen Radfahrern, die gern abseits der ausgetretenen Pfade reisen, bietet eine solche Strecke auch ein oftmals wirklich abgelegenes, naturbelassenes Revier mitten in Deutschland.

Und dieser letzte Punkt darf und sollte  bei allem Kultur- und Geschichtsbewusstsein  ehrlicherweise auch als Hauptmotivation bei unserer Fahrt angesehen werden. Eine Woche Rad fahren in schöner, unbekannter Landschaft mit viel Spaß und ein wenig Geschichte, das war der Plan!

Hartmut Reim und Dieter Zerbin hatten sich schon länger für die Tour entschieden (letzterer sogar schon seit Jahren), Christopher und Arno Schmidt stiegen nach längerem Überlegen dann zwei Tage vor der Abfahrt am 20. Juli ein. Zunächst galt es allerdings, zum Startpunkt nach Travemünde zu kommen – am ersten Ferientag in NRW, dazu noch an einem Samstag, kein ganz leichte Unterfangen. Mangels freier Fahrradplätze im IC blieb da nur die 10-Stunden-Reise-Option Nahverkehr übrig, bei 4 Mitfahrern allerdings mit €15,50 pro Nase (inkl. Rad) unschlagbar günstig. Dafür konnten wir die Reise auch (um einen alten Kalauer zu gebrauchen) „in vollen Zügen genießen“. Besonders zwischen Köln und Bielefeld ging es wirklich ums nackte Überleben: um jeden Preis irgendwie in den Zug hineinkommen – und drinbleiben! Arno allerdings entdeckte bereits hier ein neues (?) Lebensmotto für sich: „Jeden Tag eine gute Tat“. Auf diese Weise wollte er zum Pfadfinder der Gruppe werden und stets anderen Menschen zur Hilfe eilen. In der Bahn an diesem Tag tatsächlich ein weites Arbeitsfeld. Seltsam nur, dass er seine guten Taten hauptsächlich jüngeren Frauen zukommen ließ – vielleicht auch nur Zufall. Nachdem unterwegs wegen diverser Verspätungen ein Anschlusszug verpasst wurde, konnte die eigentliche Radtour in Travemünde erst gegen 17 Uhr begonnen werden – schlappe 11 Stunden nach der Abreise in Schladern.

Glücklicherweise war das Ziel der ersten Etappe in Ratzeburg mit 50km nicht nur relativ nah, die Stadt und der See reizvoll und dazu die tolle Jugendherberge ein „Brüller“.

Der Sonntag sollte die erste richtige Etappe sein. Nach einem letzten Kaffee am See und mit einem sehr angenehmen Zwischenziel in Zarrentin am Schaalsee führte sie an den Lauenburgischen Seen entlang durch eine eiszeitlich geformte Landschaft in Richtung Lauenburg/Elbe. Dabei kamen wir auch durch Büchen, dem Ort, in dessen unmittelbarer Nähe unser früherer Mit-Rennradfahrer Toralf Arendt nun wohnt. Toralf war aber nicht zu Hause, hatte uns aber zuvor einige nützliche Tipps und Informationen zur Umgebung gegeben. So blieb es in Büchen bei einem Pauseneis. 80km Strecke sollten bei der enormen Hitze reichen und die Jugendherberge direkt am Elbufer in Lauenburg war ein würdiger Ort für die Nacht. Beim Einchecken wurde nach der Mitgliedschaft von Hartmut im DJH gefragt, die er allerdings nicht hat. Zato stellte ihn kurzerhand als seinen „Eingeschriebenen Lebenspartner“ vor. Das wirkte und alles Fragen hatte ein Ende. Hartmut allerdings widersprach zwar lauthals („Alles Lüge!“), da war die Anmeldeprozedur aber schon im PC abgespeichert – und damit offiziell. Über diese Notlüge – so kann man sich denken - sollte in den folgenden Tagen noch häufiger abgelästert werden.

Montags begann dann die ganztägige Fahrt an der Elbe entlang. Diese Etappe wurde durch fünfmaliges Übersetzen auf das jeweils andere Ufer der Elbe geprägt, eine Wegführung, die zwar angenehme Pausen bringt, aber ins Geld geht.

An der Elbe fielen zunächst die vielen Sandsackwälle auf, die noch vom verheerenden Juni-Hochwasser übrig geblieben waren und die uns einen Einblick gaben, welch enormer Aufwand dort getrieben werden musste, um noch Schlimmeres zu verhindern. Allerdings waren kaum Flutschäden in den Orten sichtbar, nur ein modriger Gestank begleitet uns in den Elbauen. Außerdem sahen wir hier sehr viele Störche und ihre Nester, die sich auf Stelzen neben den Häusern und nicht mehr auf den Dächern befanden. Arno prägte hier den leicht übertriebenen Begriff „Storchenplage“. Vielmehr jedoch war besonders er selbst von einer anderen Plage betroffen: Mücken und Stechfliegen finden den Lebensraum in den Resttümpeln vom Hochwasser natürlich ideal und freuen sich auch über frisches Menschenblut als Leckerchen. Hartmut und Arno fanden sie besonders süß. Christopher profilierte sich unterdessen als Navigator. Mit seinem Garmin am Lenker konnte er kleine Ungenauigkeiten der gedruckten Karte und Wegbeschreibung ausgleichen und uns manches Mal auf den rechten Pfad geleiten. Dazu kreierte er das vielsagende und nicht immer leicht zu befolgenden Motto „Vertraut der Jugend“. Was wir allerdings nicht taten, wenn es darum ging, wann wir morgens frühstücken und starten sollten.

In Bleckede konnte Zato dann ein Erlebnis genießen, das er zuvor bei bestimmt 100 ähnlichen Aktionen im In- und Ausland noch nie hatte: Das Auffüllen der Trinkflaschen mit kaltem Leitungswasser wurde verweigert. Ob die Leute beim Autowaschen auch so aufs kostbare Nass achten? Über Dömitz mit der berühmten zerstörten Eisenbahnbrücke, Hitzacker mit Döner-Pause und Eiskaffee und das auch schon ohne Atommüllunfall ziemlich tote Gorleben ging es weiter zum Tagesziel. Abends standen 109km auf dem Tacho, als wir im brandenburgischen Lenzen ankamen. Dort gönnten wir uns eine teurere und ziemlich noble Unterkunft in der Burg, die vom BUND betrieben wird und uns mit Bio-Produkten und allen möglichen Nachhaltigkeits-Zertifikaten sowie einem tollen Ambiente lockte.

Es sollte sich nun zeigen, dass wir mit den Volltreffern der ersten 3 Übernachtungen unser Pulver an glücklichen Nachtlager-Wahlen weitgehend verschossen hatten. In den folgenden Tagen mussten wir uns stets mit mehr oder weniger mäßigen Hotels zu nicht immer mäßigen Preisen begnügen.

Dienstags verließen wir die Elbe dann früh bei Schnackenburg in Richtung Süden. Nach einer Pause am Arendsee wurde es dann doch ein wenig öde: flaches weites Land, Felder, kaum Schatten und wenig Abwechslung auch in den Orten machten uns ein wenig zu schaffen.  Selbst im größten Ort weit und breit in der Nähe der Strecke, Bergen an der Dumme, war mit Mühe eine Bäckerei mit Stehcafe aufzutreiben - aber kein Geschäft oder Supermarkt. Nach 125 Tageskilometern fanden wir ein Nachtlager in einem Hotel in Wittingen, etwas abseits der Strecke. Hier spätestens machten wir die Erfahrung, dass es in diesem Sommer eine Gruppe Menschen gibt, die den Touristen dort die Unterkünfte streitig macht: Arbeitskräfte, die auf den diversen regionalen Bahn- und Straßenbauvorhaben beschäftigt sind.

Die wenig abwechslungsreiche Landschaft und die schwüle Hitze setzten uns auch am nächsten Tag zu, der uns über die historisch interessanten Orte Helmstedt/Marienborn mit den bekannten und noch immer bedrückenden Grenzabfertigungsanlagen auf 120km bis nach Schöningen führte, das seinem Namen immerhin ein gutes Stück weit gerecht wird. Mehr jedenfalls als es die Unterkunft im „Deutsches Haus“ vermochte. Immerhin sorgte ein abendlicher Regenschauer hier für ein wenig Erfrischung.

Donnerstags sollte dann langsam der Harz vor den Reifen auftauchen, was er aber zunächst noch nicht merkbar tat. Wieder war die Landschaft eher öde, oft ärgerten Betonplattenwege die geplagten Hintern, allerdings war es nicht so heiß. Eine nette Pause in einer Bäckerei offenbarte endgültig Hartmuts Lebensmotto: Es gibt nichts, was man durch ein Stück Käsekuchen nicht wettmachen kann! Nachmittags erreichten wir nach nur 69km Ilsenburg nach einem ersten mäßigen Anstieg und fanden sogleich eine gute und sogar preiswerte Unterkunft: 4 Betten in 3 Zimmern, wobei der Anspruchsloseste sich sein Zimmer mit Dusche und Waschbecken teilte. Immerhin ist Ilsenburg eine schöne kleine Stadt, in der man sich ordentlich die Bäuche vollschlagen und sich dabei auch noch wohlfühlen konnte.

Als es am Freitag gleich das Ilsetal in Richtung Brocken hochging, wussten wir, dass der „Ruhetag“ zuvor durchaus Sinn gemacht hatte. Dass der Harz ein Gebirge ist, wurde nun plötzlich überdeutlich und der Schweiß floss in der nächsten Stunde in Strömen. Dann allerdings war man bei ca. 600m Höhe schon „oben“ und konnte den Brocken mit seinen 1140m Höhe aus angemessener Entfernung beobachten – man hätte übrigens auch hinauffahren können, was aber nie zur Debatte stand. Der Weg führte nun ohne größere weitere Steigungen über Elend und Sorge durch Deutschlands nördlichstes Gebirge, bevor wir in Ellrich wieder das flachere Land erreichten und die Harzquerung bei einem Top-Edeka-Markt kulinarisch angemessen (Käsekuchen) feierten. Fazit trotz der wenig hoffnungsfroh stimmenden Ortsnamen: War gar nicht so schlimm! Nach 85 Tageskilometern blieben wir in Duderstadt, unserer letzten gemeinsame Station zu viert. Am nächsten Morgen begleiteten Arno und Christopher uns noch 35km bis kurz vor das Werratal und bogen dann planmäßig ab zum nächstgelegenen Bahnhof. Zu zweit fuhren wir das Werratal entlang über Bad Sooden/Allendorf bis Eschwege (81km). Dort verbrachten wir ab Mittag den Rest des Tages, wobei man hauptsächlich damit beschäftigt war, in der Gluthitze zu überleben. Bei angenehmen Temperaturen ging es dann am Sonntag auf dem Hercules-Wartburg-Radweg nach Kassel und von dort mit der Bahn wieder nach Hause.

Auch wenn sich jeder auf Zuhause gefreut hat, so war das doch ein äußerst gelungener Teil 1 der Tour, die im nächsten Jahr mit dem ca. 450km langen Rest(?)-Stück ihre Fortsetzung finden wird.

Für dieses Mal gilt jedenfalls das, was angesichts von null Unfällen, null „Materialschäden“ an Menschen oder Rädern sowie einer guten Planung und Stimmung unterwegs immer wieder gesagt wurde: „Alles richtig gemacht!“


Dieter Zerbin

 

Radmarathon „By bike“ Bonn-Eupen-Bonn am 16. Juni 2013

Bonn-Eupen-Bonn, 235 km, 2500 Höhenmeter. Das sind die Eckdaten eines Radmarathons, der, obwohl in keinem offiziellen Marathonkalender verzeichnet, seit einigen Jahren in jedem Juni veranstaltet wird und mit denen sehr schmucklos beschrieben wird, was einen da erwartet. Schließlich liegt Eupen bereits in Belgien und wer in Erdkunde ein wenig aufgepasst hat, weiß, dass sich auf dem Weg dahin ein nettes kleines Mittelgebirge namens Eifel in den Weg stellt. In diesem Fall sogar zweimal, glücklicherweise zurück auf einer leicht südlich versetzten Route.

Dass ich mich in diesem Mai spontan dafür angemeldet habe, entsprang einer Laune, vielleicht war auch ein spontaner Anfall von rest-jugendlichem Leichtsinn im Spiel. Mein Schwager, ein deutlich jüngerer und stärkerer, insgesamt aber ähnlich gestrickter Rennradler, hatte davon berichtet, dass er mit einigen Bekannten diese Aufgabe in Angriff nehmen wollte. Willst du nicht mitfahren? Meine Neugier war geweckt und bei den heutigen Online-Anmeldungen werden ja mit ein paar Mausklicks schon ganz ordentliche Fakten geschaffen. Ich war also wenige Minuten später theoretisch dabei. Die Bedenken kamen schnell. Eigentlich hatte ich mich ja von jedwedem Leistungssport verabschiedet, hohe Belastungen und die eigenen Grenzen austesten sind eigentlich Schnee von gestern. Und dann war da auch gleich wieder dieses Gefühl, dass man wochenlang immer wieder an den Tag X denken musste. Würde ich in meinem Alter und in meinem Trainingszustand die Strecke überhaupt durchhalten? Was würde meine Gesundheit dazu sagen? Der Rücken, das Knie, der Nacken? Aber da war ja noch die Bahn! Ich wusste, dass man spätestens in Kall in den Zug zurück ins Rheinland einsteigen konnte. Und sagte mir, dass ich das notfalls auch tun würde.

Vielleicht habe ich mir das sogar ein wenig selbst geglaubt.

Meine Versuche, vertraute Mitfahrer aus den eigenen Reihen zu finden, scheiterten. Hartmut, Rainer, Schü – alle hatten gute Ablehnungsgründe – so wie ich innerlich auch.

In den vergangenen Monaten hatte ich einigermaßen Rennrad-Kilometer „gefressen“, ein gemeinsames Probefahren in die Eifel rund um die Hohe Acht mit zwei meiner geplanten Begleiter 8 Tage vor dem Event brachte aber ein ziemlich ernüchterndes Ergebnis: die sind einfach zu stark für mich! Und nach „nur“ 190 km bei knapp 2000Hm fühlte ich mich ziemlich am Ende. Zudem zerplatzte auch meine letzte Hoffnung auf Gnade. Monika, die Freundin eines der „Tiere“ aus meinem Team, musste wegen einer Verletzung absagen. Ich kannte Monika gar nicht, wusste aber, dass sie immer im Windschatten ihres Freundes fährt und so ganz gut mitkommt. Und ich hätte mich dann eben an Monikas Hinterrad gehängt. Nix da, keine Monika!

Plötzlich war er dann da, der Tag der Wahrheit. Immer wieder hatte ich im Internet auf die Wetterprognosen für Sonntag geschaut. Im Vorjahr war der Tag völlig verregnet und kaum ein Angemeldeter tatsächlich losgefahren. In diesem Jahr sollte es allerdings besser werden, sogar von sommerlichen Temperaturen war im Vorfeld zu lesen. Nun, davon war am Start im Godesberger Stadtpark nicht viel zu sehen. Kühl aber trocken war es und damit eigentlich ideal zum langen Radeln. Dank meiner professionellen Vorbereitung und jahrelanger Erfahrung hatte ich mein Radtrikot zu Hause vergessen. Mein Fahrrad hatte ich glücklicherweise dabei und Schwager Toni konnte mir mangels eines zweiten Radtrikots nur mit einem Laufshirt aushelfen. Das hatte aber keine Rückentaschen und so war klar, dass ich meine TVR-Weste den ganzen Tag würde anbehalten müssen. Glücklicherweise war das Wetter so gnädig mit mir, dass das gut auszuhalten war, denn es blieb eher kühl und wenig sonnig.

Nach dem Start um 8 Uhr wurden die ca. 400 Fahrer, darunter auch einige Frauen, zunächst von der Polizei aus dem Godesberger/Bonner Stadtgebiet hinausgeleitet. Ein erhabenes Gefühl stellte sich ein, als man mal nicht vor jeder roten Ampel anhalten musste und zu dritt oder viert nebeneinander herfahren konnte. Zugleich merkte man aber auch, welche enorme Konzentration man für das Fahren in einem Pulk braucht. Es gilt, jede Richtungsänderung, jeden Spurwechsel, jedes Bremsmanöver anzuzeigen und /oder laut anzukündigen, damit der Hintermann z.B. nicht auffährt oder auch gleich mehrere weitere Fahrer in einen Unfall verwickelt. Nach ca. 5km verabschiedete sich die Polizei und das Feld konnte, wenn es wollte, losjagen. Trotzdem blieben immer noch kleinere Pulks von 10-20 Fahrer beisammen, in denen es sich vortrefflich im Windschatten dahinrollen ließ. Ein kleiner Blick auf den Tacho zeigte dann oftmals Zahlen von über 40km/h an. Konzentriertes Fahren zwar, aber auch berauschend schnell und leicht. Hinzu kam auf dem weiten, flachen Anfangsstück Richtung Zülpich/Düren, dass die wenigen Autofahrer, beeindruckt von den großen Radlergruppen, gerne auch mal auf ihre Vorfahrtsrechte verzichteten. So gefiel der Einstieg bis zur ersten kurzen Pause nach 60 Kilometern bei Kreuzau auch mit einem Durchschnittstempo von deutlich über 30km/h. Die erste Verpflegung diente dann nur zum kurzem Leeren der Blase und – viel wichtiger- dem umgekehrten Weg: Flaschen auffüllen. Dann nämlich machte die Eifel ernst. Nach der rasenden Abfahrt ins Rurtal ging es gleich wieder hoch in Richtung Schmidt. Die Serpentinen kennen die TVR-Radler noch von der Zwei-Tages-Tour 2010 und hier zeigten sich einige Flachland-Radstars doch als wenig steigungsresistent, was wenig später am Anstieg nach Vossenack sogar noch deutlicher wurde. Über Roetgen ging es dann auf der Höhe bis an die belgische Grenze und dann über Raeren über eine kilometerlange Waldstraße hinab ins freundlich-sonnige Eupen. Halbzeit an einer Schule (!) nach 122km. Das Gefühl war eigentlich nicht schlecht, aber dasselbe noch einmal? Zunächst gab es wieder das Wasser-Spiel „aus dem Körper ablassen (auf dem Toilettenschild stand „Nur für Lehrerinnen“) und am Rad auffüllen“. Kurze Nahrungsaufnahme bei großem Angebot. Es war fast wie an einem Frühstücksbuffet und eine längere Pause wäre verlockend gewesen. Aber dann?

Fritten gab es übrigens nicht, wenngleich, so die Sage, die Frage, wo man die besten Fritten bekommt, für das Entstehen dieses Radmarathons von zentraler Bedeutung war. Die besagt nämlich, dass 3 gestandene Rennradler aus Bonn bei einer ihrer Ausfahrten im Jahre 2005 genau diese Frage erörterten und dabei quasi logischerweise auf die Antwort „Belgien“ kamen. Sie kamen aber nicht nur drauf sondern fuhren auch gleich hin.

Für mich mussten 15 Minuten konzentrierte Nahrungsaufnahme reichen, dann ging’s weiter. Schließlich war man ja nicht zum Spaß hier. Entlang der Wesertalsperre und durch einen herrlichen Ardennen-Urwld ging es kilometerweit hinauf in Richtung Monschau, bis bei Mützenich wieder deutscher Asphalt unter den Reifen war. Dieser Einstieg mit der langen Bergauf-Passage sollte für die ersten zwei Drittel der Rückfahrt Programm sein: Die Eifel ist ein Gebirge! Da geht es entweder steil hoch oder steil bergab. In Orten wie Kalterherberg oder Schleiden wurde mir das wieder ein wenig schmerzlich bewusst. Dazu kam ein neues Phänomen: Einsamkeit. Da sich „meine“ Begleiter schon 5 Meter nach dem Start von mir abgesetzt hatten und ich mich keiner anderen Gruppe dauerhaft anschließen wollte (bergauf) oder konnte (bergab), fuhr ich in den nächsten Stunden eigentlich ständig allein. Das hat klare Vorteile beim Finden und Halten eines eigenen Tempos, stellt allerdings die Psyche auf eine harte Probe (bin ich eigentlich der einzige Idiot, der hier noch unterwegs ist…?). Wobei sich hier genau die wiederum als eigentlich entscheidender Faktor präsentiert: vom Marathonlauf wissen wir, dass gute Leistungen nicht zuletzt im Kopf entstehen. Allerdings war ein ausnahmsweise guter Freund stets in meiner Nähe: ein leichter Wind blies beständig von rechts hinten und zeigte, dass dieser ansonsten meist garstige Geselle auch nett sein kann. Wenn auch selten. Ab ca. km 160 erwartete ich dann ein wenig Abwechslung in Gestalt der letzten Verpflegungsstation, denn die Trinkflaschen leerten sich doch schneller bei dem wärmeren Wetter und der zunehmenden Erschöpfung. Dass die erst bei km 190 kam, war zunächst nicht so einfach zu ertragen und vielleicht objektiv auch zu spät. Allerdings wusste ich da: du packst das jetzt. Schlappe 50km noch, das muss gehen. Diese Aussicht konnte die Motivation deutlich hochhalten, auch wenn die Landschaft nun zunehmend flacher wurde. Die Eifel hatte ihr Pulver verschossen. Und ich saß immer noch im Sattel und träumte vor mich hin, zählte Restkilometer, trank meine Flaschen leer. Oft hatte ich mich so weit weggeträumt, dass ich mich fragte, ob ich nicht einen Abbiegehinweis übersehen hätte. Dann kam aber meist sofort wieder ein Wegweiser der vorzüglichen Beschilderung ins Blickfeld. Auch mein kleiner Navi-Freund am Lenker konnte mich immer wieder beruhigen.

Dann kam die letzte schwere Hürde: Wachtberg. Kilometerweite Felder, schnurgerade Straßen, Flachland, kein Mensch – Langeweile pur! Und dann der Gag mit den Straßenschildern: nach 228km an einer Kreuzung ein Schild „Bad Godesberg 10 km“. Die hatten doch versprochen, die Strecke sei nur 235km lang. Und nun das! Schon durch solche Kleinigkeiten lässt sich ein erschöpfter Geist in einem erschöpften Körper aus dem Gleichgewicht bringen. Zwei Kilometer später dann der finale Niederschlag: „Bad Godesberg 12km“. Wer dann noch immer nicht zusammenbrach, konnte allerdings wenig später das Siebengebirge sehen und in Lannesdorf das Bonner Stadtgebiet erreichen. Die letzten 2 Kilometer durch Bad Godesberg waren dann eher eine gefühlte Triumphfahrt zum Ziel. Vielleicht wie bei der letzten Etappe der Tour de France. „Als Mensch geboren, zum Helden geworden“ steht auf der gesponserten Trinkflasche, die jeder Starter bekam. Ein bisschen was davon war hier zu fühlen.

Als ich auf die Wiese am Ziel kam, die Faust in die Luft reckte und mein Rad ablegte, hatte Toni bereits sein erstes (natürlich alkoholfreies) Weizen intus. Als ich eine Stunde später flüssigkeitsmäßig gleichgezogen und mein Rad ins Auto gepackt hatte um nach Hause zu fahren, kamen noch immer zahlreiche Fahrer ins Ziel.

241km waren es tatsächlich und 2600Hm und das alles für mich in einer 27,9er Durchschnittsgeschwindigkeit.

Kein schlechter Tag und ein großes Erlebnis, anstrengend zwar, aber ohne Schäden überstanden. Vielleicht 2014 noch einmal?

Info: Bybike.de

 

2-Tages-Tour an den Rursee

Jedes Jahr zieht es die Radsportler vom TV Rosbach für zwei Tage in die mehr oder weniger weite Welt, wohl wissend, dass nur zwei Planer die Strecke kennen und die anderen nichts wissen. So kann es immer mal wieder Überraschungen geben, wenn der Tross hinter den „Guides“ herfährt und Mutmaßungen darüber anstellt, was oder wo das Ziel sein könnte. Diesmal hatten Arno Schmidt und Dirk Nosbach die Planung übernommen. Und eines sei vorweg gesagt: Sowohl die Strecke als auch die Durchführung ließen nichts zu wünschen übrig; nicht nur das Ziel am ersten Tag, sondern auch der Heimatort am zweiten Tag wurden stressfrei erreicht.

Dabei waren Arno, Alex und Christoph Schmidt, Walter Ottersbach, Dagmar Hofmeier, Hartmut Reim, Dieter Vollmer, Michael Schütthof, Reinhard „Teckel“ Weber, Harald Mokry und Dieter Zerbin. Wichtige berufliche Gründe brachten Dirk Nosbach um den Genuss der Eifelberge am ersten Tag, so dass er erst am Sonntag ins Renngeschehen eingreifen konnte. Wie gerne hätte er mit dem Teckel um die Bergankünfte gerungen, so fehlte der Tour am ersten Tag das Element der großen Duelle! Den Verpflegungskastenwagen fuhr die liebe Ina, sie erledigte diese Aufgabe mit Bravour und wurde an den Treffpunkten immer wieder von ihrem Freund Alex über den Trennungsschmerz hinweg getröstet.

Begonnen wurde der Samstag mit einem hervorragenden Frühstück im Cafe Koch im Schladerner Bahnhof. Die georderten Zutaten ließen schon erahnen, mit welchem Kalorienverbrauch zu rechnen sein würde.

Doch die ersten 70 km waren relativ leicht zu bewältigen, denn es ging über eine recht flowige Strecke, bei der das Feld dicht zusammenblieb. Es gab keinerlei Ausreißversuche bei ziemlich hohem Tempo, wir saßen nämlich in der Bahn Richtung Troisdorf! Dort stiegen wir um in einen Zug nach Koblenz, den wir in Bad Hönningen verlassen durften. Manch einer hoffte vielleicht auf einen Aufenthalt in diesem Städtchen, das insbesondere durch Kegelclubs berühmt wurde, die sich sogar nachts noch auf einer ausgedehnten Liegewiese außerhalb ihrer eigentlichen Sportart vergnügen. Doch die Tatsache, dass jeder sein geliebtes Rennrad dabei hatte, ließ diese Gedanken schnell verfliegen, denn glücklich werden kann man auf diesem Sportgerät allemal, oft sogar ohne Reue.

Mit der Fähre setzten wir über nach Bad Breisig, in dessen Hinterhof die Eifel bereits beginnt. So kam dann auch bald die erste große Steigung, die das Feld etwas auseinander fallen ließ. Nun folgten noch viele Dörfer, die noch keiner von uns je gesehen hatte; Namen, die uns exotisch und fremd vorkamen. Wir gelangten nach Kall und Gemünd, wo die Schluss-Bergprüfung begann. Um sich für die Jagd auf das grüne Trikot am Folgetag zu schonen, verzichtete Reinhard Teckel Weber auf diesen Abschnitt und meldete sich an für Inas Fahrzeugtransport. Im Vertrauen darauf, dass er bald aus dem Fenster winkend an uns vorbeikommen würde, ließen wir ihn im tiefen Tal zurück. Es stellte sich dann aber heraus, dass Ina eine andere Strecke genommen hatte, und so musste unser Held die Steigung doch bewältigen…

Seine Worte bei der Ankunft am Scheitelpunkt entsprachen nicht ganz der Political Correctness, auf die wir eigentlich großen Wert legen.

Aber nun war es nicht mehr weit bis zum Ziel Schwammenauel am Rursee. Dort wartete ein hervorragendes Hotel auf uns, und es dauerte auch nicht lange, bis wir frisch geduscht auf der Terrasse saßen und mit kühlen Blonden in Kontakt kamen. Man ließ die Fahrt noch einmal Revue passieren und informierte unseren Abteilungshäuptling Dirk N. darüber, welche schönen Berge er verpasst hatte. Der Verfasser dieser bescheidenen Zeilen litt noch unter einem MTB-Sturz in der Vorwoche und war froh, das Ziel erreicht zu haben. Für ihn und Reinhard stand aber fest, künftig mit einem orthopädisch eher empfehlenswerten Fitnessbike zu fahren. Wir sahen auch Menschen mit E-Bikes, was bei allen zu frevlerischen Gedanken führte über die Philosophie des Radfahrens: Kann man so ein Rad lieben? Muss man denn unbedingt bequem sitzen? Gehört die Qual nicht zum Fahren dazu? Kann ich damit am Sonntagmorgen zum Berliner Platz kommen? Was sagen meine Sportfreunde dazu? Bin ich damit noch ein Mann? Was soll dann alles noch elektrisch gemacht werden? Und so weiter!

Schnell verflogen diese bösen Gedanken wieder, als Reinhard auf eine Attacke drängte, um die vor Selbstbewusstsein strotzenden Spitzenfahrer unserer Gruppe zu düpieren! Schnell war die Taktik abgesprochen, der Unterzeichner dieser Zeilen zog den Spurt vor der Ortschaft an, die Teckel-Power im breiten Windschatten hinter sich, und dann zog er vorbei und sicherte sich das grüne Trikot der Spurtwertung in Oberwichterich-Frauenberg, genannt Pussy-Hill. Die verblüfften Radsport-Ikonen unserer Abteilung staunten nicht schlecht, mussten unsere Stärke jedoch neidlos anerkennen.
Nun folgten noch viele Orte mit der Endung –nich: Eppenich, Bürvenich, Sinzenich, Linzenich, Willenich, Fahrenich, Kommenich, Trinkenich, Essenich, Liebernich, Heutenich usw.

Endlich kamen wir an der Rheinfähre in Hersel an, die uns nach Mondorf übersetzte. Ina zahlte für alle, und dann ging es Richtung Siegburg durch die herrlichen Siegauen. Von Siegburg aus musste dann noch das eher wenig geliebte Siegtal durchquert werden, bevor es im Gasthaus zu Bachmühle den wohl verdienten Schlusspunkt gab.

Fazit: Eine rundum gelungene Tour mit durchaus sportlichen Anforderungen, viel Spaß bei niveauvollen Gesprächen und das Wichtigste: keinSturz!


Dieter Vollmer